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Die Folgen des Klimawandels lassen sich als „Wasserwende“ überschreiben, welche die Menschheit vor epochale Herausforderungen stellt. Es geht darum, sich an die durch die Erderwärmung von derzeit 1,2 Grad im Mittel[1] bereits verursachten heftigen Verschiebungen zu Dürreperioden einerseits und sturzflutartigen Regenfälle andererseits zu bewältigen. Deutschland und Europa müssen ihre Geschwindigkeit ändern, sich sozusagen im Wasserbereich vom Tanker zum Schnellboot entwickeln[2].
Dazu kommen Krisen, wie die durch das Virus Sars-Cov2 ausgelösten Verschiebungen von Heim- und vor Ortarbeitsplätzen und neue extreme Hygiene- und Abstandsanforderungen, die sich auch auf den Betrieb der Einrichtungen auswirken.
Es folgen 14 Glaubenssätze – ähnlich einem Kreuzweg mit 14 Stationen – zu den Aufgaben und Kraftanstrengungen für Städte und Gemeinden, ohne die ein Kursverlust bei der Aufgabenbewältigung droht.
Credo 1: Dezentrale Strukturen erhalten!
Die Wasserversorgung ist nach § 50 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Je kleinteiliger die kommunale Struktur in den Ländern verfasst ist, umso kleinteiliger sind die Wasserversorgungen und auch die Abwasserentsorgungen in Deutschland strukturell aufgestellt. Nach dem Motto „so klein wie möglich, so groß wie nötig“ sei für den Erhalt dezentraler Strukturen plädiert. Dezentralität ist eine Kraftanstrengung, die zu Resilienz und Akzeptanz vor Ort führt. Unverändert soll dazu die ortsnahe Wasserversorgung den Vorrang vor der überörtlichen Versorgung behalten.[3]
Zur Dezentralität gehört notwendiger Weise auch die interkommunale Zusammenarbeit. Diese hat häufig einen technischen Auslöser, etwa der Anschluss an eine leistungsfähige Kläranlage oder die Wasserlieferung von einem anderen Versorger. Schlagwortartig seien hierzu die Gründung eines Betriebszweckverbandes zur Bündelung des technischen Personals oder die Gründung eines Gemeinsamen Kommunalunternehmens zur Klärschlammentsorgung. „Runter vom Kirchturm und rüber zum Nachbarn“ ist derzeit die gelebte kommunale Weichenstellung.
Credo 2: Am Personal entscheidet sich die Zukunft!
Wir steuern in Deutschland auf einen vorhersehbaren und im jetzigen Stadium längst unausweichlichen Fachkräftemangel zu. Die Generation „Ü 55“ steuert auf die Rente zu und der Nachwuchs ist noch nicht gefunden, geschweige denn ausgebildet. Einerseits sollten die umwelttechnischen Berufe derzeit an Attraktivität gewinnen, andererseits steigen aber auch die Anforderungen an die Ausbildung.
Hierzu wurde die berufliche Fortbildung neu geregelt und bundesweit eine einheitliche Grundlage im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geschaffen. In § 53 a BBiG werden die neuen Stufen der Fortbildung beschrieben:
- Erste Fortbildungsstufe: Geprüfter Berufsspezialist
- Zweite Fortbildungsstufe: Bachelor Professional
- Dritte Fortbildungsstufe: Master Professional
Basis für eine einheitliche berufliche Fortbildung ist jeweils eine Fortbildungsordnung. Die bisherige Fortbildung zum/zur Geprüften Abwassermeister/Geprüften Abwassermeisterin entspricht der zweiten Fortbildungsstufe. Die Umstellung auf das neue System ist erst noch zu bewältigen.
Credo 3: Mineralwasser keinen Vorrang vor Trinkwasser geben!
Es stellt ein Vorrecht des Staates dar, das natürliche Wasserdargebot den Wasserversorgern und der Mineralwasserindustrie rechtlich zugänglich zu machen. Eine über Entsalzung und Entmanganung hinausgehende Aufbereitung von Trinkwasser muss bei den Trinkwasserversorgern unbedingt Tabu bleiben. Aufbereitetes Wasser ist totes Wasser und schmeckt nicht mehr. Einen in der Mineralwasserverordnung festgelegten der Mineralwasserindustrie zum Tiefengrundwasser sollte in diesem Zusammenhang überdacht werden.
Credo 4: Das blaue Gold radikal schützen!
Eine ortsnahe Wasserversorgung ist dauerhaft nicht möglich, wenn das vorhandene Grundwasser erst bis auf 50 mg Nitrat pro Liter hoch verschmutzt werden darf und ab diesem Zeitpunkt die Grenzwerte nicht mehr eingehalten sind. Der Grundwasserschutz ist eine staatliche Aufgabe, die endlich durchgesetzt werden muss. Genannt seien als Hebel die Trinkwasserverordnung, die Düngeverordnung und die Ausweisung von Wasserschutzgebieten. Während in Bayern nur 5 % der Landesfläche als Wasserschutzgebiete festgesetzt sind, sind es in Baden-Württemberg 25 Prozent und in Hessen 54 Prozent. Schutzgebietsverfahren – so wie im DVGW-Regelwerk W 101 vorgesehen – sind bundesweit einheitlich voranzubringen.[4]
Credo 5: Auf die EU vertrauen!
Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland in Sachen Düngerecht ist hilfreich und notwendig.[5] Auch wenn die EU regulierungswütig erscheint: eine Wasserwende ist weder regional noch national, sondern nur mit gleichen europäischen Standards umsetzbar. Im Wasserbereich gibt es bereits seit 30 Jahren zahlreiche Rahmenrichtlinien, allen voran die Wasserrahmenrichtlinie, die einen europaweit einheitlichen Korridor und Zielsetzungen vorgeben. Dabei ist es wichtig, zukünftig der kommunalen
Wasserversorgung, der kommunalen Abwasserentsorgung und dem Sturzfluten-Hochwasser-Risiko-Management in Brüssel eine kommunale Stimme zu verleihen.
Credo 6: Ordnungsrechtlichen Rahmen für Nutzungskonkurrenzen schaffen!
Aufgrund von Spitzenlastsituationen, also erhöhtem Wasserbedarf bei hohen Temperaturen und gleichzeitig um 25 bis 30 Prozent zurückgegangenen Grundwasserständen, werden auf Bundesebene Nutzungshierarchien und Priorisierungen für die Wasserlieferung erarbeitet. Die zuständigen Behörden sind dazu mit den notwendigen Ermächtigungsgrundlagen für Einstellungen bzw. Reduzierungen von Wasserlieferungen auszustatten. Der sogenannte Wassernotstand in § 8 Abs. 2 WHG stellt hierfür keine hinreichende Grundlage dar.
Zum ordnungsrechtlichen Rahmen im weiteren Sinne gehört auch die Bereitschaft, zunehmend eine Digitalisierung zuzulassen. Über eigene Netze kann erreicht werden, dass weniger Fachkräfte benötigt werden, weil die einzelne Fachkraft so viel vor Ort sein muss. Die Systeme müssen ansteuerbar sein, gerade bei Fragen der Wasserverteilung bei Hitzeperioden. Ein weiteres Thema ist etwa die selbstverständliche Möglichkeit Wasserzähler fernauslesen zu dürfen. Hier werden die Wasserversorger in einzelnen Bundesländern wie Bayern unter den Generalverdacht gestellt, sie könnten Daten missbrauchen, während die Europäische Ebene längst in einer Energieeffizienz-Richtlinie klargemacht hat, dass der Verbraucherschutz – beispielsweise beim zwingenden Einbau von Warmwasserzählern – im Vordergrund steht.
Credo 7: Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand
Die Privatisierung ist als Thema Anfang des Jahres bei der EU-Konzessionsrichtlinie wieder aufgeflackert. Es kann nur dazu aufgefordert werden, das Tafelsilber eines Landes nicht aus der Hand zu geben. Die Erfahrungen, die zuletzt Griechenland machen musste, um zur Sanierung der öffentlichen Haushalte mit dem Verkauf der öffentlichen Infrastrukturen beizutragen, sind langfristig gesehen fatal.
Credo 8: Gesamtwasserkonzepte entwickeln!
Die verschiedenen Typen von Wasser können nicht mehr in Sparten durchdacht werden. Weil Trockenperioden häufig werden und sich die Zeiten des Niederschlags von den Wintermonaten wegverschieben, ist es mit Trink- und Brauchwassersparen nicht getan. Dazu muss das Niederschlagswasser zur Grundwasserneubildung auch in Siedlungsgebieten verdunsten und vor Ort versickern können.
Um allein die Bereiche Trink-, Brauch-, Niederschlags-, Grundwasser und die Auswirkungen der Wasserrahmenrichtlinie für die Gewässerbewirtschaftung zu koordinieren, bedarf es Generalisten (also der Städte und Gemeinden), die vor Ort alle Akteure zusammenführen. Es wird ein Plädoyer abgegeben für Arbeitskreise, die analysieren, wo der größte Handlungsbedarf vor Ort ist. Beratende Ingenieure werden selbstverständlich eingebunden.
Credo 9: Niederschlagswasser vor Ort sammeln, versickern, speichern!
In Siedlungsgebieten sei dies mit der Überschrift „spongy cities“ überschrieben. In den Außenbereichen, also den unbebauten Freiflächen, sei die Überschrift „spongy spaces“ gewählt. Es gilt, mit dem Hauptakteur, der Landwirtschaft, darin übereinzukommen, Bodenstrukturen so zu verbessern, dass Wasser vom Boden – anders als im verdichteten Maisacker – tatsächlich aufgenommen werden kann. Im hängigen Gelände müssen Abflüsse reduziert und gegebenenfalls Wasser aufgefangen und gespeichert werden, so dass es für neue Beregnungsformen zur Verfügung steht. Auch die Drainierung von Böden, also die Ableitung von Grund-, Quell- und Schichtenwasser aus den Fluren, sollte weitgehend rückgebaut werden.
Credo 10: Raus aus der Komplexitätsfalle!
Unsere Rechtsordnung ist außerordentlich komplex geworden, wofür hier zwei Beispiele aufgeführt seien: Was beim Thema Bodenaushub an Kostensteigerungen hinzunehmen war, scheint sich nun – beschränkt auf Bayern – beispielsweise beim Thema Asbestzementrohre zu wiederholen. Die Kosten für Gutachten zur Zulassung von Verfahren und die Baukostensteigerungen bei der Sanierung bzw. beim Legen von Hausanschlüssen an vorhandene und durchaus weit verbreitete Asbestleitungen ist immens. Auslöser ist eine zu enge Lesart der REACH-Verordnung der EU durch das Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz.
Credo 11: Steuerrecht bestimmt unser Tun!
Durch die Neuregelung des § 2b UStG hat sich die Systematik der Umsatzbesteuerung fundamental gewandelt. Ab dem 1.1.2023 sind grundsätzlich alle Einnahmen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts der Umsatzsteuer zu unterwerfen, soweit nicht die Ausnahme des § 2b UStG greift. Für diese Ausnahme müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss die juristische Person des öffentlichen Rechts Tätigkeiten ausüben, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Zum anderen darf eine Behandlung als Nichtunternehmer nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen.
Derzeit wird beispielsweise mit dem Staatsministerium der Finanzen bzw. dem Landesamt für Umsatzsteuerrecht für alle Abwasserentsorger in Bayern verbindlich geklärt, dass der technisch gewünschte Abschluss einer Zweckvereinbarung zur Einleitung von Abwasser in eine größere und leistungsfähigere Kläranlage jedenfalls bei der bayerischen öffentlich-rechtlichen Struktur der Abwasserentsorger keine Umsatzsteuerpflicht auslöst.
Credo 12: Finanzierung von Maßnahmen vereinfachen!
Globale Veränderungen und deren Folgen können nicht mit lokalen Gebühren für Einrichtungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung finanziert werden. Deshalb bedarf es beispielsweise einer radikalen Vereinfachung der Förderkulissen kommunaler Maßnahmen. Ein Umsetzungsanreiz wäre, einen aus Bundes- und Landesmitteln gespeisten fixen Topf für jede Gemeinde nach einem Schlüssel aus Einwohnern und Fläche anzubieten. Damit wäre ein Umsetzungsanreiz für ortsgerechte Lösungen gesetzt und zudem das Thema in allen Gremien platziert und verankert.
Angesichts der vermehrt auftretenden Starkregen bedarf es zudem bundeseinheitlicher Regelungen zum Gewässerausbau und zur Renaturierung der Gewässer. Die Regelungen der Länder zum Hochwasserschutz an Gewässern sind höchst unterschiedlich und teilweise intransparent.
Credo 13: In Krisenzeiten wie Corona oder Wassermangel verliert die kommunale Selbstverwaltung an Bedeutung!
Es gibt die kommunale Versorgungsverantwortung, die über Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz, § 50 Abs. 1 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) bis hin zu Art. 57 Gemeindeordnung (GO) abgesichert ist. In den letzten Jahrzehnten stand diese im Vordergrund der Wahrnehmung und auch der Zufriedenheit der Bürger. In einer Krisenzeit wie der durch das Virus Sars-Cov2 ausgelösten, wird zwar die Arbeit vor Ort geleistet. Die Vorgaben dazu kommen jedoch in hoher Taktung und ohne Anhörung der kommunalen Ebene vom Staat. Bis heute wurde allein die Infektionsschutzverordnung in Bayern zwischen März 2020 bis September 2021 achtzehn Mal geändert.
Auch das Thema Wassermangel und Dürre schiebt die staatliche Bewirtschaftungsverantwortung, also das Vorrecht des Staates, das Wasserdargebot über die Vergabe von Wasserrechten zu steuern, in den Vordergrund.
Credo 14: Akzeptanz der Bürger hochhalten!
Die Kosten der Wasserwende trägt der Bürger. Dies gilt unabhängig davon, ob die Mittel auf lokaler Ebene über Gebühren, auf Landesebene über Wasserentnahmeentgelte oder Abwasserabgaben oder auf Bundesebene über Steuermittel bereitgestellt werden. Von zentraler Bedeutung ist das Verständnis der Menschen, wonach jedes Nichtstun zu unvergleichlich höheren Kosten für die eingetretene Wasserwende führen würde.
Die Veränderungen durch Waldsterben, Sturzfluten und sinkende Wasserstände in Gewässern sind augenfällig. Das Thema Wasser ist bei den Menschen angekommen. Nicht der Preis für einen m³ Wasser bzw. Abwasser, also für jeweils 1000 Liter, steht weiterhin im Vordergrund, sondern die Fragen der Quantität und der Qualität. Die Menschen waren jedoch noch nie so bereit wie heute, genau diese Kosten der Veränderung zu tragen, sich selbst zu ändern und verständlichen Vorgaben zu folgen. Die Zeit ist reif, um mit der Wasserwende einen Sinneswandel herbeizuführen.
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Fußnoten:
[1] Die globale Temperatur über dem Land lag 2015 – 2019 um ca. 1,7°C über den vorindustriellen Werten (1850 – 1900). Insgesamt beträgt die Erderwärmung bisher 1,2°C.
[2] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Kernbotschaften, Ergebnisse und Dokumentation des Nationalen Wasserdialogs, Stand April 2020, vorgestellt am 9.6.2020.
[3] So § 50 Abs. 2 WHG.
[4] In Bayern etwa sind über 400 Wasserschutzgebietsverfahren seit Jahren nicht zum Abschluss gebracht.
[5] Am 21.6.2018 – C-543/16 – verurteilte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Bundesrepublik Deutschland wegen des Verstoßes gegen die Nitratrichtlinie. Mit Schreiben vom 24.6.2021 wurde das Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Union fortgeführt, weil Deutschland es seit 1991 seine Hausaufgaben im Düngerecht nicht erledigt hat.
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